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Manchmal reichen sehr kleine Dinge aus, um uns für einen Moment aus dem Autopilot-gesteuerten Alltagstrubel herauszuholen und uns so eine mal mehr mal weniger erholsame und besinnliche Auszeit zu bescheren. Einige Bücher können diese Wirkung beispielsweise entfalten. Und genau dazu habe ich heute einen Gastartikel inklusive Buchempfehlung von Bastian The New Worker Wilkat für Sie, der mir so gut gefallen hat, dass ich ihn heute hier mit Ihnen teilen möchte:


Arbeit mal Arbeit sein lassen – Gedanken zur Muße

Vor einigen Monaten ist mir das Faulenzer-Lesebuch des Diogenes Verlags in die Hände gefallen. Darin finden sich über 30 Kurzgeschichten und Essays zum Thema Müßigkeit und Arbeit. Unter den Autoren befinden sich u.a. Bertrand Russel, Robert Walser, Dalai Lama und Paul Lafargue.

Während Sie diesen Artikel lesen, sitze ich gerade in Porto und genieße den Abstand zum Tagesgeschehen. Vermutlich trinke ich gerade Kaffee und lese. Vielleicht dösen meine Partnerin und ich auch gerade am Strand.

Noch aber sitze ich zu Hause und schreibe diese Zeilen. Allein der Gedanke an die auf mich zukommende Muße zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Es reichen manchmal ein paar Gedanken, um sich rundum zufrieden zu fühlen.

So erging es mir bei der Lektüre des Faulenzer-Lesebuchs. Deswegen möchte ich ein paar Zitate und Gedanken aus dem Buch mit Ihnen teilen.

W. Somerset Maugham: Der Müßiggänger, S. 9

Die meisten Menschen, ja fast alle, leben, wie es der Druck der äußeren Umstände bestimmt, und wenn auch einige, die sich in ihrer Haut nicht wohl fühlen, murren, weil sie unter anderen Verhältnissen vorgeblich eine bessere Figur abgegeben hätten, nimmt der größere Teil, wenn nicht heiter, so doch resigniert sein Schicksal hin. (S. 9)

Maugham beginnt seine Kurzgeschichte mit diesem mächtigen Satz. Ich kann darin so viel wiedererkennen. Ob persönlich oder auch in meinem Umfeld. Die Anzahl an Personen, die ihr Schicksal beherzt — wenn auch manchmal naiv — in die Hand nehmen, lassen sich in meinem Umfeld an einer Hand abzählen.

Umso spannender ist Maughams Geschichte. Sie handelt von Thomas Wilson, der mittlerweile seit 15 Jahren auf Capri lebt. Ihn würden wir heute “Aussteiger” nennen. Der Erzähler möchte Wilson kennenlernen und seine Geschichte erfahren. Und wir begleiten ihn dabei.

Die Geschichte baut eine ungeheure Spannung auf und endet sehr intelligent. Dennoch möchte ich noch ein weiteres Zitat mit Ihnen teilen, worin der Erzähler beschreibt, was Wilson während der vergangenen 15 Jahre trieb:

Er badete und wanderte viel und gewann sichtlich der Insel, die er so gut kannte, immer neue Schönheiten ab; er spielte Klavier, legte Patiencen und las. […] Sex hatte ihn wahrscheinlich nie heftig beunruhigt, und wenn er früher ab und an mit einer Touristin, die in dieser Luft den Kopf verlor, eine Affäre gehabt haben mochte, dann blieb er ganz gewiss Herr über seine Gefühle. Nichts durfte seine völlige Unabhängigkeit beeinträchtigen. (S. 24 f.)

Ich legte das Buch nach der Lektüre erstmal zur Seite und musste einige Momente nachdenken. Spektakulär!

Martin Suter: Männer unter Streß: Perrig, S. 31

Suter stellt Perrig in der Einleitung als stressliebenden Entscheider vor, der überzeugt ist, dass er nur unter Stress funktioniert. Perrig hat so manch wundersame Ansicht: Wer z.B. pünktlich bei der Arbeit ist, ist nicht ausgelastet.

Besonders gelungen beschreibt Suter, wie sich der Stress auf die Abteilung auswirkt:

Perrig leidet ganz schrecklich unter seinem Stress. Und mit ihm die ganze Abteilung. Wenn er als Letzter ins Büro kommt, noch Rasierschaum an den Ohrläppchen und einen Bissen Grahambrot im Mund, lässt er es die ganze Abteilung spüren, dass sie schon hier ist. (S. 31)

Die nicht einmal drei Seiten kurze Geschichte überzeichnet und zieht die Tragik ins humorvolle. Dennoch konnte ich einige Personen in dieser Geschichte wiedererkennen. Und in der Realität ist es nicht wirklich witzig.

Gilbert Keith Chesterton: Über das Im-Bett-Liegenbleiben, S. 271

Kennt ihr das: Der Tag beginnt, Sie sind gut gelaunt aber irgendwie wollen Sie einfach liegen bleiben? Der Protagonist in Chestertons Geschichte beginnt mit dem Gedankenspiel des Im-Bett-Liegenbleibens:

Im-Bett-Liegenbleiben wäre ein großartiges, ein unüberbietbares Erlebnis, hätte man nur einen Farbstift, lang genug um an der Decke zu malen. (S. 271)

Doch statt beim Gedankenspiel zu bleiben, probiert er es einfach aus. Was dann passiert ist genial. Er beschreibt, was ihm im Zimmer auffällt, spricht über Geizhälse, Verhalten, Moral und Ethik. Sehr spannend wird es immer dann, wenn er zu philosophieren beginnt. Hier ein leicht verdauliches Beispiel:

Statt, dass man es [Das Im-Bett-Liegenbleiben, Anm. Bastian], wie sich das so gehörte, als eine Frage der persönlichen Annehmlichkeit und Lebensgestaltung ansähe, wird es von vielen so beurteilt, als sei es ein wesentlicher Punkt der Ethik, früh aufzustehen. (S. 274)

Also Im-Bett-Liegenbleiben als Statement gegen starre gesellschaftliche Normen? Nicht ganz. So weist der Protagonist auf folgendes hin:

Wenn man schon im Bett liegt, muss man es völlig unbegründet tun und ohne sich nachträglich um eine Rechtfertigung zu bemühen. (S. 275)

Vielleicht ist es das ja mal wert auszuprobieren. Wenn Ihnen das zu Heikel ist, machen Sie mit dem Gedankenspiel weiter. Dazu kann ich Ihnen die Lektüre vom Faulenzer-Lesebuch nur empfehlen.


Soweit der heutige Gastbeitrag von Bastian Wilkat. Besonders zur Urlaubszeit kann solche Lektüre sehr inspirierend sein. Wenn Sie also jemandem ein paar Anregungen in den Urlaub mitgeben wollen, teilen Sie diesen Artikel gerne. Vielen Dank – auch im Namen von Bastian, der sich sicher über Ihren Besuch auf seinem Blog The New Worker freut.